Es ist vielen reisebegeisterten Leuten nicht bekannt, dass einige europäische Länder diverse „Aussenposten“ in tropischen Gegenden haben. Diese sind keine Kolonien oder eng verbündete Länder, sondern eigene Provinzen, die trotz tausender von Kilometern Distanz genau so zum Land gehören, wie die Hauptstadt oder der wichtigste Hafen auf dem europäischen Festland.
So ein europäischer „Aussenposten“ ist die Insel La Réunion, die mit ihren 2512 km2 (Grösse » Luxemburg) politisch und juristisch so zu Frankreich gehört, wie Saint-Tropez oder Paris.

La Réunion ist nach Französisch-Guyana, Guadeloupe und Martinique das 4. „Département d’outre-mer“ von Frankreich. Man merkt es daran, dass man trotz 11/12-stündiger Flugreise immer noch in Europa ist, dass eine ID für die Einreise reicht, das Zahlungsmittel der Euro ist und elektronische und Printmedien zu einem grossen Teil vom französischen Festland stammen.

Die Preise für Lebensmittel liegen auf europäischem Niveau und der Wein stammt zu 98% aus Frankreich. Die restlichen 2% stammen von der Insel selber, aber sind noch etwas teurer als die französischen Geschwisterweine. Coca Cola, Fanta, Heineken & Co. haben auch auf La Réunion einen festen Platz in der Gastronomie, aber wenn es um Bier geht, gibt es 2 eigene Inselsorten. Das bekannteste ist das Bourbon-Bier, welches liebevoll „Dodo“ genannt wird. „La Dodo lé là“ heisst es überall in den Werbeslogans. Bourbon war im 17. und 18. Jahrhundert übrigens der Name der Insel. Es passiert häufig, dass ein durstiger Wanderer nach Ankunft bei einer Hütte als erstes fragt: „Le Dodo est là?“
Das Wasser kann in den Bergen aber auch an der Küste vom Wasserhahn getrunken werden, was im Vergleich zu anderen tropischen Ländern eine Ausnahme und eine willkommene Abwechslung ist.

Das typische, einheimische Essen besteht aus einem „Carri“, einem sehr würzigen Geschnetzelten mit Poulet, Fisch oder Rind, einem Linsen- oder Bohnenbrei, Reis und für die extra Würze „Rougail“. In den Berghütten und in den Cirques gibt es zum Abendessen häufig die einfachere Carri-Version mit einem würzigen Bratwurst-Geschnetzeltem, welches auch sehr schmackhaft ist. Weitere Gerichte auf den Menükarten stammen aus der französischen Küche inkl. „huîtres“ und „grenouilles“.

Wenn man auf der Insel nach der Hauptstadt fragt, ist die Antwort häufig „Paris“. Auf La Réunion vertritt ein Präfekt die Interessen der Insel in Paris und v.v. Auch wirtschaftlich läuft nicht viel ohne die „Mutter“ auf dem europäischen Festland. Das Verhältnis Import:Export liegt bei 15:1 und Beamtenjobs wie Lehrer oder Polizisten etc. werden mit 40% Teuerungszuschlag, Entfernungsprämie und Urlaubsgratifikation stark subventioniert. Der Grund dieser Subventionierung liegt nicht so sehr in der Nächstenliebe sondern in Frankreichs Wunsch nach Präsenz im Indischen Ozean.

Aber wer möchte nicht so eine Perle in diesem weit entfernten Ozean besitzen?

La Réunion ist eine herrliche Insel, die für Ferien alles bietet, was man sich wünschen kann: Kühle Höhen, entlegene Gebiete für Bergwanderungen, spannende vulkanische Aktivitäten, schmücke Dörfer in Berg- und Strandregionen und lange Strände für Spaziergänge, Muscheln Suchen oder zum Faulenzen. Die Touristen stammen mehrheitlich aus Frankreich und sind häufig zum Wandern dort. Für reine Badeferien eignet sich die zweite Insel des Maskarenen-Archipels, Mauritius, die 160km weiter östlich liegt, besser. Die dritte Insel des Archipels heisst Rodrigues, liegt 810km östlich von La Réunion und ist von den drei Inseln am wenigsten bekannt, besucht und daher auch am wenigsten touristisch entwickelt.

Die Einwohner der Insel sprechen Französisch und ein eigenes „Creol“, welches aber nicht geschrieben wird; Französisch ist die Amts- und geschriebene Sprache. Aus diesem Grund und weil die Wanderwege fast „comme en Suisse“ markiert und ausgebaut sind, kann man eine Reise nach La Réunion gut selbständig unternehmen. Die Berghütten müssen aber beim „Maison de la Montagne“ im Voraus reserviert werden, denn ohne Voranmeldung wird man auch in den höchsten Höhen und bei schlechtem Wetter nicht in eine Hütte aufgenommen.

Wie im französischen Mutterland wird auf La Réunion weder Englisch, noch Deutsch sondern fast nur Französisch (oder Creol) gesprochen.

Die Durchschnittstagestemperaturen auf La Réunion liegen in den Küstenregionen, also auch in der Hauptstadt St. Denis und in St. Gilles, bei ca. 30°C, weshalb der Temperaturschock bei Ankunft aus dem mitteleuropäischen Winter vorprogrammiert ist. So wie man im Schweizer Winter die Nase sehnsüchtig der Sonne zuwendet, so schleicht man im Küstengebiet von La Réunion gerne dem Schatten nach, der wegen des hohen Sonnenstandes nur sehr spärlich vorhanden ist. Am Strand weht ein angenehmes Lüftchen, aber mehr kann nicht erwartet werden. Es ist dann auch schön ins Bergdorf Hell-Bourg auf ca. 950m Höhe zu gehen. Herrliche, kühle Luft am Fusse vom 3071m hohen Piton des Neiges, der vor ca. 2-3 Mio. Jahren unter heftigen Vulkaneruptionen aus dem Meer hochstieg. Dieser Piton ist mittlerweile erloschen, aber da es sich hier um einen vulkanischen Hot-Spot handelt, ist die tektonische Platte weiter nach Westen geschoben und der Hot-Spot hat in südöstliche Richtung einen immer noch sehr aktiven Vulkan, den Piton de la Fournaise, gebildet, welcher die Insel bei fast jedem Ausbruch im Südosten wieder wachsen lässt.

Der Piton des Neiges ist umgeben von 3 Bergkesseln, Cirques, die in diesem Reiseprogramm während 7 Tage zu Fuss erkundet wurden. Das Dorf Hell-Bourg liegt im Cirque de Salazie, von wo aus zur Caverne Dufour auf 2478m hoch gelaufen wird. Häufig müssen im letzten Drittel der Wanderung, zeitlich und höhen-bedingt, Regenschirm und -hülle getestet werden, da im Osten der Insel am späteren Morgen die Wolken üblicherweise „hängen bleiben“ und so richtig schön ausregnen. Nach einer kurzen Nacht im Matratzenlager geht es dann meistens im Dunkel hoch zum Gipfel, der nur noch 600 Höhenmeter entfernt ist. Der Sonnenaufgang oben am Gipfel ist meistens schön und kühl. Ein Wolkenspiel tiefer unten im Tal gibt dem ganzen Erlebnis einen besonderen Akzent. In der Hütte gibt es nach der Besteigung meistens um ca. 7.30 Uhr Frühstück, wonach man gestärkt den Abstieg nach Cilaos in Angriff nehmen kann. Cilaos ist auf ca. 1200m Höhe der Hauptort des nächsten Cirque, Cirque de Cilaos, wo in diesem Programm in der Zivilisation Weihnachten war. Zur Feier des Tages kann man in einem der gemütlichen Hotels im Dorf eine Dusche und ein feines Abendessen geniessen, wonach der wahrscheinliche Muskelkater vom 1800 HöM-Abstieg auskuriert werden kann.
Von Cilaos geht es zu Fuss weiter über die Passhöhe Col du Taïbit auf 2081m und runter zum Bergdorf Marla im Cirque de Mafate. Dieser ist der einzige der 3 Cirques, welcher nur zu Fuss oder mit Helikopter erreichbar ist. Nach einer Übernachtung in Marla geht es weiter nach Roche Plate auf 1100m Höhe. Die Hüttenübernachtung dort kann z.B. in Alex Lefèvres Gîte d'étappe exotisch und einfach gestaltet werden, hat aber trotzdem eine warme Dusche und ist gemütlich, was u.a. durch den quirligen Scharm des Rasta-Hüttenwarts verursacht wird.
Bei gutem Wetter sollte am nächsten Morgen die Unterkunft früh verlassen werden, da die 1100m hohe Wand des Piton Maïdo, die westliche Begrenzung des letzten Cirques und das letzte Tagesziel, vor/über den Wanderern liegt und gegen Mittag so richtig schön sonnig sein kann. Die Frühe sollte ausgenutzt werden, damit die letzte grössere Wandertour in/durch die Cirques zu einem grossen Teil im Schatten bewältigt werden kann. So kann man schon um 10.00 Uhr morgens auf dem Piton Maïdo auf 2205m stehen, auf dessen Aussichtsplattform häufig mehr Leute versammelt sind, als man in 7 Tagen während der Wanderungen durch die 3 Cirques gesehen hat. Der Grund: Von der Westküste aus ist ein Parkplatz 100 Meter unter dem Gipfel für Familien mit Kindern, Senioren und Flipflop-Touristen mit Bussen und Autos erreichbar. Der Vorteil für die Wanderer; man kann von dort mit einem Auto abgeholt und für einige erholsame, faule, heisse Tage zum Badeort St. Gilles chauffiert werden.

Nach einigen Nächten im Badeort an der Ostküste in einem Hotel mit klimatisierten Zimmern kann ein Auto gemietet werden, mit welchem man die südliche Hälfte der Insel erkunden kann. Schönes Ziel in diesem Teil der Insel ist der Piton de la Fournaise. Am Nachmittag ist es eine Glücksache, ob man den Berg und sonstige vulkanische Phänomene sehen kann, da die Wolken sich am späteren Morgen immer wieder sammeln. Aber morgens früh sind die Chancen auf gute Sicht relativ gross. Vom Kraterrand des Hauptkraters, in welchem der Fournaise liegt, geht es zuerst 100 HöM zum Kraterboden runter, ehe es über erstarrten Lava von Ausbrüchen des letzten Jahrhunderts zum Piton de la Fournaise geht. Die Besteigung eines Lava-Berges ist meistens angenehm, da die Oberfläche der Steine so rau und kantig ist, dass jede Bergschuhsohle einen guten Halt bietet. Nach kurzer Zeit wird der Rand vom Gipfelkrater auf 2632m erreicht und so kann man in das noch dampfende konische Loch hineinschauen und den Schwefel riechen. Man würde am liebsten noch weiter über den Kraterrand in das tiefe Loch hineinschauen, aber das Gestein ist sehr brüchig, also sollte man den gesunden Verstand walten lassen und keine Nummer in der Bergunfall-Statistik werden.

Am nächsten Tag geht es dann via den Süden und die neuesten noch dampfenden Lava-Felder im Südosten der Insel zur Ostküste und weiter nach Norden in die Hauptstadt St. Denis, wo die üblichen 30°C einen wieder in ihren Griff bekommen und man es sich noch einige Tage in einem schönen Hotel gemütlich machen kann.

Die Rückreise (und logischerweise auch die Hinreise) muss immer via Frankreich gemacht werden, da La Réunion nur via Frankreich angeflogen werden kann. Dies birgt aber das Risiko von möglichen Streiks oder sonstige organisatorische Hindernisse, für welche das Mutterland in Europa bekannt ist.

Es ist immer schön sich auf die anstehenden Ferien zu freuen, aber es ist auch sehr schön nach Hause in den Schweizer Alltag zurückzukehren. Irgendwann zieht es einen sicher wieder zu einem schönen Ort auf dieser Erde, sei es vulkanisch oder nicht vulkanisch.